Anfang September ist Manfred Spitzer, Autor des viel diskutierten Buches Digitale Demenz, am Sonntag Abend bei GĂŒnther Jauch in der gleichnamigen Talkshow zum Thema Achtung, Computer! Macht uns das Internet dumm? aufgetreten.
Auch wenn ich zu diesem Zeitpunkt die GesprÀchsrunde nicht am Fernseher verfolgt habe, konnte die Aufregung und Empörung der Social Media-Gemeinde auf Twitter und Facebook nachlesen. Dass der Psychiater dabei nicht gut weggekommen ist, versteht sich von selbst. Es war also ein guter Zeitpunkt, sich mit dem aktuellen Buch des Autors zu beschÀftigen.
Die digitale Demenz
Auf mehr als dreihundert Seiten möchte Spitzer in seinem neuesten Werk erklĂ€ren, wie wir uns und insbesondere unsere Kinder um den Verstand bringen und dement enden werden. Der Professor und doppelte Doktor hat es sich zur Aufgabe gemacht, die MissstĂ€nde und IrrtĂŒmer in Bezug auf die Medien-Nutzung und die Medienkompetenz aufzuklĂ€ren und vor den negativen Folgen des Konsums aller Arten von Medien – vom Fernseher ĂŒber Spielkonsolen bis zu allen Formen des Internets zu warnen. En passant werden noch die entscheidungs-unfĂ€higen Politiker in Sippenhaft genommen, die Piraten-Partei verunglimpft und die Republik in den HĂ€nden von Lobbyisten am Rande des Abgrunds gesehen.
Doch so dramatisch (inszeniert?) die Auftritte des Wissenschaftlers sind, so undramatisch und langatmig kommt das Buch daher. Nach einem kurzen Abriss ĂŒber die Funktionsweise des menschlichen Gehirns bekommt erst die Cloud, dann die sozialen Netzwerke und anschlieĂend die frĂŒhkindliche mediale Erziehung via TV und DVD ihr Fett weg (in dieser Hinsicht bin ich ĂŒbrigens Spitzers Meinung, dass Kinder unter drei Jahren nichts vor der Mattscheibe verloren haben).
Ăber den Mythos der Digital Natives
AnschlieĂend entmystifiziert der Autor die Digital Natives und erklĂ€rt, dass das vielbeschworene Multitasking alles andere als förderlich ist. Durchaus lesenswert ist der Abschnitt ĂŒber “Selbstkontrolle versus Stress”. Doch das sich anschlieĂende Kapitel ĂŒber die aufgrund Computernutzung entstehende Schlaflosigkeit, Depression und Internetsucht zerstört den zwischenzeitlich positiven Eindruck.
Zum Abschluss versucht der studierte Mediziner zu ergrĂŒnden, wieso weder Regierung noch NGOs etwas gegen die ĂŒber uns hereinbrechende digitale Demenz tun und – analog der Alkoholsucht – diese UntĂ€tigkeit stattdessen noch rechtfertigen oder das Problem bagatellisieren. Erst nach 296 Seiten erlĂ€utert der Psychologe Wege es aus der Krise und fasst zusammen: “Digitale Medien fĂŒhren dazu, dass wir unser Gehirn weniger nutzen, wodurch seine LeistungsfĂ€higkeit mit der Zeit abnimmt.”
Mein Fazit
Kurz und knapp: viel LĂ€rm um nichts. Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass Manfred Spitzers Veröffentlichung von “Digitale Demenz” einher geht mit seinen medialen Auftritten in unzĂ€hligen Talkshows und sich damit zwangslĂ€ufig des Vorwurfs der Absatzankurbelung ausgesetzt sieht.
Ich habe mich nach der LektĂŒre mehrfach gefragt, welche Kernaussage Spitzer an seine Leser weitergeben möchte. Sind die provokanten Thesen nur aufgestellt worden, um wachzurĂŒtteln? Dazu fehlen neben der einseitigen Sichtweise konkrete Handlungsfelder. Ist der Autor möglicherweise nur am medialen Hype interessiert? Dann scheint dieses Ansinnen gelungen zu sein, denn das Echo in Fernsehen, Radio und Internet ist definitiv vorhanden.
Völlig deplatziert empfinde ich ĂŒbrigen bereits im Vorwort von Digitale Demenz den Vergleich der Computerindustrie mit der Waffen-, Tabak-, und Lebensmittelindustrie, die in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch die unschĂ€dliche Wirkung ihrer Produkte herausgestellt hat und ebenso als Suchtmittel gelten, die in die AbhĂ€ngigkeit fĂŒhren können.
Manfred Spitzers Buch basiert an vielen Stellen auf provokanten Thesen, die – sicherlich nicht ungewollt, da durchaus verkaufsfördernd – die Netzgemeinde auf die Barrikaden gebracht und die entsprechenden Reaktionen hervorgerufen haben. Doch dieser Hype hat mit dem Wahrheitsgehalt und der Aussagekraft der drohenden digitalen Demenz nichts zu tun. Ich habe das Buch an einigen Stellen als langatmig und zu ausufernd empfunden. Mir fehlt in dem ganzen Schwarz-WeiĂ-Malen das Grau: denn die Nutzung digitaler Medien ist nicht per se schlecht – genauso wenig wie die generelle Nicht-Nutzung positiv ist.
Deshalb mag ich verstĂ€ndlicherweise nicht in das Wehklagen Spitzers mit einstimmen. Wie bei vielen anderen TĂ€tigkeiten kommt es auch bei digitalen Medien auf die Ausgewogenheit an. Das Internet, die Smartphones und iPads können digitale Helfer sein, wenn sie maĂvoll und bewusst angewendet werden. Doch sie können auch zu AbhĂ€ngigkeiten fĂŒhren, wenn sie ĂŒbermĂ€Ăig gebraucht oder missbraucht werden.
Was sagt die Netzgemeinde ĂŒber Manfred Spitzer?
Zur Abrundung meiner Rezension habe ich eine kleine Linksammlung zusammengestellt, die einige Stimmen der Netzgemeinde enthÀlt:
Warum ich mir eine (vermutlich) einmalige Gelegenheit entgehen lasse.
Zwischenbilanz zu Spitzers Digitale Demenz
 Internetdebatte bei Jauch Omg, lol!
ARD-Talkshow: âSilver Surferâ debattieren, ob das Internet dumm macht
Spitzer bei Jauch zur digitalen Demenz
Und auĂerdem noch das Digitale Quartett zum Thema: Digitale Demenz mit Daniel Fiene und Thomas KnĂŒwer:
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