Neben den Zechen und dem Fußball hat nur die Trinkhalle das Ruhrgebiet so maßgeblich geprägt, dass die “Bude”, wie die Trinkhalle auch genannt wird, unzertrennbar mit dem Mythos Ruhrpott verbunden ist.
Die Trinkhalle war und ist Supermarkt, Kneipe und sozialer Treffpunkt in einem. Hier treffen Kulturen und Religionen aller Art, hier treffen Jung und Alt sowie der Banker genauso wie die Hausfrau und der Schüler friedlich aufeinander, um zu plauschen, etwas Erfrischendes zu trinken oder eine bunte Tüte zu kaufen.
https://www.youtube.com/watch?v=OKpBzWJ-myI
Jetzt ist es Zeit, die Trinkhalle zu feiern! Und deshalb werden am 1. Tag der Trinkhallen am 20. August 2016 ruhrgebietsweit 50 Buden und Kioske zu außergewöhnlichen Micro-Eventlocations für Poetry Slam, Kabarett, Weltmusik, Literatur und vieles mehr.
Nebenan bei Facebook können alle fünfzig Buden auf Bildern angeschaut werden. Und nicht nur das. Außerdem überraschen mehr als 120 weitere Buden im Ruhrgebiet ihre Besucher am Tag der Trinkhallen mit zahlreichen Aktionen und Leckerbissen.
https://youtu.be/K8uPXytgyjo
Eine komplette Übersicht aller teilnehmenden Büdchen von Unna bis Kamp-Lintfort und von Duisburg bis Marl gibt es auf der Übersichtskarte. Und das Beste: der Eintritt ist frei!
Die Kioskwallfahrt mit Giampiero Piria in Bochum
Auf Einladung des Ruhr Tourismus´ hatte ich die Gelegenheit, einige Wochen vor dem Feiertag am 20. August eine Rundfahrt durch Bochum und Dortmund zu erleben, bei der ich mich auf die Spuren des Mythos rund um Bude, Bier und Fußball begeben habe.
Heute & morgen sind wir auf #BudenkulTour mit @Ostwestf4le @Zauber_Anderswo @snoopsmaus #TagderTrinkhallen #DeinNRW pic.twitter.com/iCnw8oiQdN
— Ruhr_Tourismus (@Ruhr_Tourismus) June 16, 2016
Den Anfang hat der Bochumer Schauspieler und Theaterkünstler Giampiero Piria gemacht, der uns an einem Freitag Nachmittag in der Zechenstadt zu einigen ganz besonderen Büdchen geführt hat. Los ging es an der Trinkhalle Ruhrgebeat in der Hernerstraße 8. Im Ruhrgebeat verkauft Tom Gawlig keine Biere von Großbrauereien, sondern hat ausschließ´lich handverlesene Brauereien Angebot.
Während im Hintergrund auf einer Großleinwand das EM-Vorrundenspiel zwischen Wales und England gelaufen ist, habe ich nicht nur mein erstes Dortmunder Bergmann Bier trinken, sondern auch Pirias spannenden Geschichten rund um die Trinkhalle lauschen können. “Es ist keine Sehenswürdigkeit, wenn du sie nichts als solche siehst”, leitete der Bochumer ein, während er uns einen kurzen Abriss über die Trinkhalle und seine Bedeutung für junge und alte Menschen im Ruhrgebiet herausgestellt hat.
Er selbst ist als Sohn eines Bergmanns in der Stadt groß geworden und damit tief verwurzelt im Pott. Doch es ist nicht alles rosig. Die Trinkhallen haben es immer schwieriger, sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Die Büdchen haben in dem “erweiterten Ladenschluss” der Lebensmittelgeschäfte einen erbitterten Gegner, der das Geschäft bedroht und schon einige Trinkhallen in den Konkurs getrieben hat.
Auf der Spur der Trinkhallen
Nachdem wir das Ruhrgebeat hinter uns gelassen haben, schlendern wir los. Die Kioskwallfahrt ist gleichzeitig Entschleunigung. Der Künstler spazierte mit uns durch Bochum und es wird schnell deutlich, wie sehr der Künstler Bochum liebt und wie wohl er sich hier fühlt. “Spazieren” kommt aus dem Italienischen und bedeutet “sich Raum schaffen” und insofern machen wir Spaziergänger nichts anderes als ein Künstler, merkt der Mann mit den fröhlichen Augen an.
Über das Deutsche Bergbaumuseum, das ich auch bereits besuchen durfte, geht es weiter zur Speckschweiz bis hin zum “Kiosk am Bunker”. Beim Okan Mini Markt haben wir uns mit einer gemischten Tüte gestärkt und einen kleinen Plausch mit dem Besitzer gehalten, der seinen Kiosk täglich bis zwölf Uhr Mitternacht geöffnet hat. Was vielerorts als “gemischte Tüte” bekannt ist, wird hier auch “Pilgerpass” genannt.
Etwas fällt besonders ins Auge: Wieso werden so viele Buden von Ausländern bewirtschaftet? Giampiero kennt die Antwort”. “Es gibt Motive, die sich jahrzehntelang aufrecht erhalten haben. Die einen machen die Arbeit, die die anderen nicht machen.” Als Giampiero auf dem Weg zu unserer letzten Station der Wallfahrt eine schwarze Trinkflasche mit BVB-Emblem zum Durst löschen hervorgeholt hat, war er mir gleich noch eine Spur sympathischer 😉
Beinahe den Schlusspunkt unserer Tour in der Grönemeyer-Stadt bildete ein Halt bei der Trinkhalle Weiherstraße/Joachimstraße südlich des Hauptbahnhofs. Die identitätsstiftende Funktion der Bude wird hier besonders deutlich. Blau-weiße Bochum-Devotionalien zeugen von der Leidenschaft des Besitzers für den Fußball des unabsteigbaren VfL.
Und nicht nur das. Im Inneren des Gebäudes werden gleich mehrere Räume in einen Raum gemischt: Wohnzimmer, Lebensmittelladen, Getränkemarkt und Kneipe sind nur einige der Schwerpunkte.
Doch das Highlight des Spaziergangs hatte sich der Schauspieler noch bis zum Ende aufbewahrt: das Büdchen am Eck, die kleinste Trinkhalle Bochums setzte den Schlusspunkt unter die Wallfahrt.
Mit dem Youngtimer nach Dortmund
Anschließend stand die Fahrt nach Dortmund mit zwei Youngtimern auf dem Programm. Mit zwei Fahrzeugen haben wir uns auf den Weg in die Fußballhauptstadt gemacht.
Ich hatte die Ehre, Beifahrer in einem Audi 200 mit Baujahr 1980, dem damaligen Gegenstück zur S-Klasse von Mercedes, sein zu dürfen. Das Plüsch-Teddy-Futter strömte ein Retro-Flair aus und war nur noch von der damals serienmäßigen Zentralverriegelung zu toppen.
In Dortmund angekommen, ging es zu zwei Trinkhallen. In Dortmund – Marten lernten wir die einzige (?) Bude mit Geldautomat kennen, bevor es weiter östlich zum “Kiosk Zwischenstopp” ging. Jean-Philipp Keim servierte mir ein standesgemäßes Kronen Export im Kreuzviertel und berichtete aus seinem Alltag als Budenbesitzer.
Beim 29-jährigen klingelt besonders bei Heimspielen der Dortmunder Borussia die Kasse. Kein Wunder, schließlich ist seine Trinkhalle die letzte auf dem Weg ins Westfalenstadion. “In zwei bis drei Stunden mache ich dank der Borussen-Fans an solchen Tagen einen Umsatz wie sonst in einer Woche”, verrät Keim im Gespräch.
Und auch hier gilt wie bei jeder Trinkhalle: Die Lage, das Sortiment und der persönliche Kontakt sind die drei Erfolgsfaktoren für die Trinkhalle.
In diesem Sinne: Wohlsein!
Video: Die Historie der Trinkhallen im Ruhrgebiet
https://youtu.be/18Jri9S2DY8
Die Stationen der #BudenKulTour im Überblick
Mehr über die #BudenKulTour
Alle bisherigen und künftigen Artikel über meine Reise im Ruhrgebiet finden sich unter dem Schlagwort #BudenKulTour hier im Blog.
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